Wenn dich dein Leistungsdruck vom Leben abhält
- Myriam J. Schwizer
- 23. Juli 2023
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Jan. 2024

Ich musst nur noch "einen Moment" durchhalten: Gleich gibt es eine Pause, bald eine Auszeit. Ich muss nur noch kurz diese E-Mail beantworten, noch schnell diesen Task abschliessen, dieses eine Projekt noch "wuppen". Danach kann ich mir eine Pause erlauben, in den Urlaub fahren, einen Gang runterschalten - wenn's gut läuft....
Getrieben von Leistungsdruck und Erwartungen
Wir leben in einer Gesellschaft, in der "höher, schneller, weiter" die Tagesordnung ist. Es ist vollkommen normal, dass wir uns über Leistung definieren und profilieren. Da passiert es nicht selten, dass wir unsere eigene Messlatte höher setzen. Ständig vergleichen und bewerten wir uns, treiben uns an, noch mehr zu geben und noch besser zu werden. Vom Drang zur Perfektion reden wir noch gar nicht. Es entsteht ein Kreislauf, der uns in To-do-listen und Leistungsparametern denken und in der Folge handeln lässt.
Warum machen wir das?
Der Leistungsdruck ist unser "push" um ganz oben mitspielen zu können, gut genug zu sein. Oder er dient als Schutz, um nicht "durch- resp. aus dem Rahmen" zu fallen oder versagt zu haben.
Denn nur dann sind wir vermeintlich richtig und gut genug. Haben wir doch so häufig tief verankert, dass wir nur dann gut genug sind, wenn wir performen, ausserordentliches schaffen und über uns herauswachsen - unerbittlich. Weil Leistung eben direkt mit Anerkennung und vielleicht sogar Zuneigung und Liebe verknüpft zu sein scheint. Ist es dann nicht absolut logisch, um jeden Preis dafür zu kämpfen und danach zu streben?
Woher kommt das Streben nach Performance?
Dieser Mechanismus - der häufig unterbewusst und automatisch anspringt - entsteht aufgrund von Prägungen und Erfahrungswerten. Diese bilden sich aus elterlichen Forderungen, die wiederum mit konventionellen, kulturellen und sozialen Vorstellungen verknüpft sind. Als Kind werden diese "Eltern-Gebote" keinesfalls angezweifelt - so könnte es zur Folge haben, dass wir bei "Nichteinhaltung" nicht mehr geliebt würden.
Unser Hirn kreiert daraus Automatismen und setzt Muster fest, die in spezifischen Situationen abgerufen werden. Sogenannte innere Antreiber, die festlegen, wie wir in Reiz-oder Stress-Situationen reagieren. Dahinter entstehen dann Glaubenssätze, wie z.B. "Ich muss alles besser machen, es ist nie genug." oder "Ohne Fleiss kein Preis.". So formt sich ein Teil unserer individuellen Persönlichkeit. Es entstehen Überzeugungen und Prinzipien - die wir uns "anlegen". Man könnte sagen, die "Grundpfeiler", das Fundament für unser Denken und Handeln.
Erst wenn wir erwachsen werden, könnten wir erkennen wir, dass es Alternativen gäbe. Nur sind die vermeintlichen Erfolgsstrategien bis dahin schon tief verankert. So führt es nicht selten dazu, dass wir als Erwachsene in unserem Privat- und Berufsleben ganz automatisch die Forderungen weiter erfüllen - als wäre es ein innerer Zwang. Dieser innere Kompass zeigt uns, wie wir in den jeweiligen "Rollen" als Mensch, Tochter, Partner, Ehefrau, Arbeitnehmer, Team-Player zu sein und zu *funktionieren" haben. Unabhängig davon, ob das nun heute wirklich zielführend, wirksam und erfüllend wäre.
Wo führt dieser Leistungsdruck hin?
Wie wir generell mit Stress, oder Druck umgehen, ist sehr individuell - je nach Prägung und Stärke unserer inneren Antreiber. Zudem ist der Umgang noch von so vielen weiteren inneren und äusseren Faktoren sowie Tagesformen abhängig und beeinflusst.
Die Frage ist nicht ob, sondern wann...
Was sich aber mit Sicherheit sagen lässt: Wenn wir allzu häufig, gar regelmässig oder über einen längeren Zeitraum unsere Grenzen missachten, unser Bedürfnis nach Ruhe und Erholung ignorieren und ständig weiter rennen, wird es irgendwann zum "Clash" kommen. Die Frage ist viel weniger ob, sondern wann...
Der Anteil erwerbstätiger Personen in der Schweiz mit einer emotionalen Erschöpfung lag 2022 bei 30,3%. Dies ist der höchste Wert seit 2014. Im Alter zwischen 25 und 39 Jahren lagen die Werte 2022 sogar bei 35,6% (MonAM: Ein Kooperationsprojekt von BAG und Obsan) Eine emotionale Erschöpfung beinhaltet das Gefühl der Überbeanspruchung, des Energieverlustes und des "Ausgelaugtseins". Findet keine vollständige Erholung statt, können Stressreaktionen chronisch werden und die Gesundheit und das Wohlbefinden beeinträchtigen (Zapf und Semmer, 2004).
So weit müsste es aber nicht kommen: Wenn wir uns erlauben würden, unseren Wert anzuerkennen, auf unseren Körper und Geist zu hören und dessen Warnzeichen ernst zu nehmen und frühzeitig Unterstützung anzunehmen.
Life Changing Questions in Action
Was wäre denn, wenn du nicht mehr funktionieren würdest? Was könnte sich ergeben, wenn dein neuer Parameter nicht mehr Leistung, sondern Lebensqualität wäre?
Und da kommt die Panik. Denn zu Funktionieren und Leistung zu erbringen war der vermeintliche Schlüssel zum Erfolg. Da wird heftig an den Prinzipien, unseren Grundpfeilern gerüttelt. Wie soll man das denn jetzt einfach loslassen? Das würde bedeuten, wir hätten aufgegeben, versagt. Dann wären wir ja nicht mehr gut genug. Und wer soll denn die ganze Arbeit machen, wenn man selbst einen Gang runterschalten würde? Man kann doch nicht so egoistisch sein und das Team im Stich lassen.
Nicht selten redet man sich dann ein: Vielleicht ist es ja doch nicht ganz so schlimm, wie es scheint. Denn dann müsste man diese Veränderung, diesen inneren Wandel der daraus resultieren würde, nicht anpacken...
Wenn es eigentlich Zeit wäre, loszulassen
Manchmal fühlen sich solche Gedanken an, als würde es einem den Boden unter den Füssen rauben. Da kommen Ängste, Zweifel und ganz viel Kritik und Unbehagen auf.
Das Paradoxe daran: Eigentlich weiss man, dass es der richtige und gesunde Schritt wäre, den Drang zu funktionieren und zu performen loszulassen. Eine absolut notwendige Veränderung, um nachhaltig gesund zu bleiben und wirklich glücklich zu werden. Aber wie?
|
Hinweis:
Es ist nie zu spät, die Reissleine zu ziehen. Wenn du das Gefühl hat, bereits von der Erschöpfung und Energielosigkeit überrollt worden zu sein, lass es mich wissen. Ich habe in meinem Netzwerk ausgezeichnete Psycholog:innen und Therapeut:innen, die sich in diesem Bereich spezialisiert haben. Du brauchst sofort Unterstützung: Die Dargebotene Hand ist unter Tel. 143 rund um die Uhr da für Menschen, die ein helfendes und unterstützendes Gespräch benötigen. Das Schweizer Sorgentelefon bietet Anrufenden völlige Anonymität.